Write on time

Wenn man ihr Aufmerksamkeit schenkt, ist meist nicht allzu viel von ihr vorhanden. Lebt man unbeschwert in den Tag hinein, vergeht sie quasi unbemerkt. Obgleich sie nichts ist, sind wir gänzlich von ihr umgeben. Die Zeit oder vielmehr die Gegenwart ist ein schmaler Streifen, davor und dahinter schon nichts mehr oder noch nichts. Wie Zeit erlebt wird, beziehungsweise ihr Verstreichen, ist einem jedem mehr oder weniger selbst überlassen. So wird sie zuweilen als eine sich dahinschleppende, nicht enden wollende Last empfunden. Etwa während einschläfernder Besprechungen oder bei ungeplanten Verzögerungen im Bahnverkehr. Dramatische Langeweile schlägt uns entgegen. In Windeseile springt sie uns jedoch davon, wagen wir einen Neuanfang. Ein neues Buch, eine neue Aufgabe, eine neue Liebe, ein neues Hobby oder einen beruflichen Neueinstieg.

Mein persönliches Zeitempfinden hat beim Wechsel von der Eltern- zur Arbeitszeit eine sehr deutliche Änderung erfahren. Eigenzeit als die Zeit, die ich selbst dirigiere und nach meinen Vorlieben gestalte, ist plötzlich zu einem kostbaren Gut geworden. Konnte ich meine Vormittage bislang mit völlig eigennützigen Tätigkeiten verbringen, muss ich inzwischen Tage im Voraus dafür sorgen, dass ich an meinen zwei freien Vormittagen auch wirklich das tun kann, was mir wichtig ist. Denn richtig eigen fühlt sich meine Zeit erst an, wenn ich ganz bei mir sein und mich auf Wesentliches besinnen kann. Wenn kein Zwang von außen meinen Zeitvertreib beeinträchtigt. Dann entstehen kreative Momente und spannende Ideen trudeln ein. Gut, natürlich gibt es da auch einen festen Rahmen, der diese Zeit begrenzt. Aber dennoch eröffnen mir meine vormittäglichen Tätigkeiten wie Yoga, Joggen oder selbst das Abspülen (eine äußerst meditative Aktivität, wenn man ihr die ihr gebührende Gelassenheit entgegenbringt) gänzlich neue Blickwinkel oder Geistesblitze. Weil ich meinen Gedanken dabei völlig freien Lauf lassen kann.

Die ultimative Eigenzeit aber ist die Tangozeit. Die beim Tango geschaffene Verbindung von Musik und synchronem Tanzen schaffen einen der intensivsten Momente des Zeit- und Selbsterlebens. Eine Viertelstunde kann in einer zeitlichen Unendlichkeit aufgehen. Schon Proust entdeckte in der Musik das geheimnisvolle Verhältnis von Zeit und Ewigkeit. Musik zeichnet sich ihm zufolge durch die Eigenschaft aus, eine innere Leere zu schaffen und so auf ganz besondere Weise das Verstreichen von Zeit erlebbar zu machen (Albert Gier, Proust und die Musik). Oder mit Safranskis Worten: „Die Augenblicke, in denen man durch Hingabe an Etwas oder an Jemand die Zeit vergisst, weil man sich selbst vergisst“ bilden eine „Brücke zwischen Zeit und Zeitlosigkeit.“ (Rüdiger Safranski, Zeit).

Auch Bernd Alois Zimmermann weißt auf das Zusammenspiel von effektiver Zeit und einer inneren, also gefühlten Zeit hin. Diese beiden Formen der zeitlichen Empfindung stimmen überein, wenn metrische und rhythmische Abfolgen mit Zeit- und Intervallverhältnisse in einer übergreifender Zeitstruktur verbunden, sprich geordnet sind. Zeit hat somit eine regulierende Funktion für die Musikerfahrung und das Musikerleben: „Welcher Art ist nun die Ordnung, die Musik zwischen dem Menschen und der Zeit setzt? Ganz allgemein eine Ordnung der Bewegung, die auf besondere Weise Zeitlichkeit zum Bewusstsein bringt und den Menschen so in einen Prozess des inneren Erlebens von geordneter Zeit hineinbezieht; die auf Grund ihrer Kommunikation mit den Grundformen der menschlichen Erfahrung überhaupt in tiefste Erlebnisbezirke hinabreicht; die den Menschen in seiner ganzen Wesenheit erfasst und ihm, jenseits der Erscheinungsformen der Zeit in ihrem Ablauf in der Musik, die Zeit als umfassende Einheit zum Bewusstsein bringt“ (Bernd Alois Zimmermann, Intervall und Zeit).

Zurück zu Kindern, Haushalt, Arbeit, Freunden und Hobbys: Es ist gar nicht einfach so viele Aktivitätsfelder zeitmäßig vernünftig aufzuteilen. Auch nicht als Elternpaar, zumal auch die Großeltern nicht mal eben um die Ecke wohnen, um die Kleinen mal für ein paar Stunden zu übernehmen. Nun ja, schlaue Methoden um Zeitdiebe aufzustöbern gibt es ja eigentlich ausreichend. Gewiss, die Kunst besteht darin, die Zeit, die uns zur Verfügung steht, ausgewogen zu füllen. Prioritäten und Ruhepunkte zu setzen. Klar. Aber welche? Und wann? Wer erledigt wann welche Pflichten? Wann steht Beruf vor Hobby und wann Hobby vor Familie? Haben die Prioritäten des einen auch Geltung für den anderen? Packt einer zu viele Tätigkeiten in einen zu knappen Zeitraum, kommen entweder andere oder man selbst zu kurz. Ich persönlich neige in solchen Momenten schnell zu Kurzatmigkeit, werde angespannt, übellaunig und kommandiere meine mir eigentlich so liebe Familie nur noch herum.

Meine Kollegin Anna, die vor Kurzem ihr zweites Kind bekommen hat und vor ähnlichen Herausforderungen steht, hat neulich ihre persönliche Zeitmanagementmethode vorgestellt. Eine Methode, die ihr zu innerer Nachhaltigkeit verhilft. Die sogenannte IFTTT-Methode (If This Then That): Dabei geht es darum, sich Konsequenzen von Handlungen und Handlungsalternativen immer wieder bewusst zu machen und sich achtsam zu entscheiden. Genaueres lest ihr am besten direkt auf ihrem Blog finding sustainia nach! Aber was bedeutet das für mich? Beispiel: Ein Sturm fegt über Deutschland hinweg. Dann könnte ich: 1. aufräumen 2. ein Buch lesen 3. staubsaugen 4. eine Yogastunde einschieben 5. Klavier spielen 6. einen Blogbeitrag verfassen 7. noch eine Runde dösen 8. telefonieren 9. Handstand machen oder 10. an meinen Tango-Moves feilen… Ja was denn nun? Da wären wir wieder bei den Prioritäten. Für heute zumindest versinkt die Wohnung im Chaos, dafür steht mein neuer Blogbeitrag und der ist im Besten Fall was für die Ewigkeit! Oh, wie die Zeit vergeht, wenn man sich amüsiert.

Für alle, die noch ein wenig im gefühlt zeitlosen Raum ruhen wollen, empfehle ich Pink Floyd:

Time

Ticking away the moments that make up a dull day
Fritter and waste the hours in an offhand way
Kicking around on a piece of ground in your home town
Waiting for someone or something to show you the way

                Tired of lying in the sunshine staying home to watch the rain
     You are young and life is long and there is time to kill today
And then one day you find ten years have got behind you
No one told you when to run, you missed the starting gun

So you run and you run to catch up with the sun but it’s sinking
Racing around to come up behind you again
    The sun is the same in a relative way but you’re older
            Shorter of breath and one day closer to death

Every year is getting shorter never seem to find the time
Plans that either come to naught or half a page of scribbled lines
Hanging on in quiet desperation is the English way

The time is gone, the song is over
Thought I’d something more to say

Home
Home again
I like to be here
When I can

                                                         When I come home
                                                    Cold and tired
                                               It’s good to warm my bones
                                              Beside the fire

                   Far away
            Across the field
               Tolling on the iron bell
                    Calls the faithful to their knees
                To hear the softly spoken magic spell

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2 Antworten zu “Write on time”

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