Tango-Rituale

Nach einer längeren Muttipause habe ich wieder mit dem Tangotanzen begonnen. Nun ja, das tanzen habe ich zwar nicht verlernt, aber Sicherheit und Körpergefühl sind in der Zwischenzeit definitiv geschrumpft, wie ich bei meiner letzten Milonga feststellen musste. Ein guter Grund, mich wieder intensiver dem Tango zu widmen.

Ich fange also wieder an zu tanzen. Das heißt, ich reserviere mir einen freien Abend bei/von Mann und Kindern. Ich freue mich schon die Tage davor darauf, bald wieder in diese berauschende Atmosphäre von Eleganz und Leichtigkeit einzutauchen. Am Tanzabend selbst, nachdem die Kinder eingeschlafen sind, lege ich mir meine Kleidung zurecht und mache mir die Haare schön. Langsam fängt der Adrenalinspiegel  an zu steigen.  Gönne ich mir vielleicht doch ein Gläschen Wein, um die Nervosität ein bisschen zu senken? Ich entscheide mich dagegen. Lampenfieber gehört schließlich dazu. Bis ich mich endlich entschließe die Wohnung zu verlassen, wechsele ich noch Mal das Outfit, hole mir von meinem Mann noch ein paar Komplimente ab und putze schnell noch die Zähne. Es kann losgehen.

Die Milonga ist bereits in vollem Gange. Also schnell die High Heels anschnallen und meinen Kram aufs Sofa legen. Ein älterer Herr geht vorbei und fordert mich auf. Den kenn ich zwar nicht, aber das kann ja noch werden. Er stellt sich in Tanzrichtung, hebt seinen Arm, ich ergreife die mir entgegengehaltene Hand, lege meinen Arm um die Schulter des Herrn und wir gehen bereits die ersten Schritte. Aber was ist denn das? Rumpel, Rumpel mit den Beinen, etwas steif in den Armen, ein Schmatzen an meinem Ohr? Ein sehr seltsamer Führungsstil. Oh je, denke ich mir, das kann ja heiter werden. Er scheint noch nicht so viel Tanzerfahrung zu haben. Kein Problem. Schließlich haben wir ja alle mal klein angefangen. Dann aber beginnt er, seinen Griff zu verengen und mich in „korrekte“ Bahnen zu ziehen. Ich spüre eine leichte Aversion in mir aufsteigen. Als dann noch ein: „Sie tanzen wohl keinen Gancho?!?“ folgt, platzt mir innerlich der Kragen.  An dieser Stelle sei erklärt, der Gancho ist eine Bewegung, bei der die Tanzende mit einem Bein um den Oberschenkel des anderen hakt. Diese Bewegung wird häufig mit hoher Geschmeidigkeit und Geschwindigkeit ausgeführt und erfordert ein gewisses Vertrauen in die Führung des anderen. Ich muss kurz innerhalten und schlucken. Hat der das jetzt wirklich gesagt? Und antworte: „schon, aber nur wenn ich es spüre.“ Die gepfefferte Bemerkung, die mir auf der Zunge liegt, schlucke ich herunter und stehe diese erste Tanzrunde tapfer bis zum Ende durch. Jedoch schwöre mir für den Rest des Abends jegliche mir bekannten“ Zerrer“ und „Hüftführer“ zu meiden!

Glücklicherweise hat sich in den letzten zwei Jahren nicht viel verändert in meiner Tango-Community. Meine Lieblingstänzer fordern mich nach wie vor gerne auf und es kommt nur selten vor, dass ich länger als zehn Minuten auf dem Sofa pausiere. Und auch wenn meine Tänze vielleicht nicht mehr so elegant daher kommen, womit ich nicht behaupten möchte, dass mein Niveau bereits sonderlich hoch war, kann ich es doch wieder spüren. Das besondere Tango Gefühl. Vielleicht auch nicht sofort, ständig und umwerfend stark. Aber es kommt wieder. Diese irrsinnige Nähe, die zwischen zwei Menschen entstehen kann, während man schweigt und die Körper sprechen lässt. Die zarte Berührung einer Hand auf dem Rücken, eine schwermütig-dramatische Melodie, die das Herz berührt, die Intensität des Moments und das rhythmische Gehen zweier Körper, die sich für eine kurze Zeit ganz nahe sind.  Genau dieses Gefühl ist es, das mich jedes Mal wieder aufs Neue mit tiefer Freude erfüllt und einer gewissen Demut vor dieser überwältigenden Anmut, Natürlichkeit und Lebensfreude im Tanz.

Werbung

2 Antworten zu “Tango-Rituale”

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das: