Per Anhalter quer durch Frankreich

Der erste Teil dieser Reihe zu unabhängigem und nachhaltigem Reisen behandelte das Thema Bahnfahren. Eine an und für sich komfortable und mitunter auch aufregende Art der Fortbewegung, sie hat nur leider einen gravierenden Nachteil: die starke Begrenzung der Streckenauswahl.

Deshalb werden heutzutage allerlei vielversprechende Mobilitätskonzepte entworfen, welche die Bahnfahrt ergänzen und häufig auch ersetzen: Intermodalität, shared mobility oder autonomes Ride-Hailing sind nur ein paar Beispiele der modernen Begrifflichkeiten für verschiedene Möglichkeiten der Fortbewegung. Basiswissen für uns vier Mädels vom Lande, um von A nach B zu gelangen. Aufgewachsen im alltertiefsten Allgäuer Hinterland, zwischen Milchkühen und Bauernhöfen, gab es für Landkinder seinerzeit drei Möglichkeiten der Fortbewegung: 1) Bus 2) Fahrrad oder 3) per Anhalter. Und für manche sogar den hochfrisierten Motorroller. Einziger Unterschied zu heute, wir fällten unsere Entscheidung gänzlich ohne Echtzeitinformation. Heißt im Klartext: aus der Haustür rauf aus Rad, ab zum Bahnhof, Rad abschließen, Freundin treffen, Stimmungslage checken, Entscheidung ob Bus oder per Anhalter, wenn Bus, dann Ellenbogen ausfahren und durchboxen um sich für die nächsten 40 Minuten zumindest zu zweit einen Platz teilen zu können, wenn Anhalter, dann rüber zur Hauptstraße, Daumen ausfahren und mit etwas Glück kurze Zeit später auf einem bequemen Autositz thronend den überfüllten Schulbus überholen und nach einer Fahrtzeit von nur 20 Minuten entspannt ankommen.

Statt also auf die als Landei gängige Art den Schulweg zu bestreiten, ließen wir hin und wieder das Schicksal über Ankunftsort und -zeit entscheiden, um so ein wenig Nervenkitzel in unseren faden Alltag zu bringen. Diese Strategie erwies sich als sehr effektiv und wurde mit der Zeit zu unserer bevorzugten Mobilitätswahl. Zudem war man abends, wenn man was etwas erleben wollte, zwangsläufig auf ein Auto angewiesen. Der letzte Bus fuhr um 20 Uhr, sonntags und an Feiertagen gar nicht. Wer in Hinterdupfing aufwächst, der wird zwangsweise an das Auto sozialisiert. Wer als Dorfkind so etwas wie „Freiheit“ spüren will, der macht mit 18 seinen Führerschein und erkundet die Welt. Oder ergattert sich eben einen Mitfahrerplatz in den Autos der anderen.

Liberté, Fraternité…

Das letzte Mal kam mein persönlicher Daumen in Südfrankreich zum Einsatz. Die Idee, Frankreichs Autobahnen mit Pappschild bewaffnet zu erobern, erschien mir und meinem Kumpel, zwei Bettelstudenten mit musikalischen Ambitionen, als äußerst verwegen. Vaters anstehende Geburtstagsfeier sollte der Einstieg in einen unvergesslichen Sommer als Straßenmusikanten auf malerischen Plätzen Osteuropas sein. Als Duo aus Geige und Akkorden am Rande einer Landstraße, so traten wir euphorisch in die Fußstapfen Jack Kerouaks. Aber schon bald wurde uns klar, dass der Geist der ausgelassenen 68er Jahre nur noch in unseren eigenen Köpfen spukte. Immerhin, ein italienischer LKW-Fahrer hatte Erbarmen und gabelte uns an einer Autobahnraststelle auf. Cool, dachten wir, eine prima Aussicht noch dazu. Wir verstanden den Typen zwar nicht wirklich, hat uns aber nicht weiter gestört. Hauptsache, wir kamen unserem Ziel näher.

Am nächsten Tag ging die Reise weiter in einem gewöhnlichen PKW. Statt in Nürnberg, sind wir schlussendlich jedoch in Karlsruhe gelandet. Besser gesagt gestrandet. Der Herr Papa musste uns aufgabeln und zu seiner Geburtstagsfeier eskortieren. Was aus unseren Reiseplänen gen Osten wurde? Die habe ich kurzerhand gegen ein paar entspannte Wochen an den heimischen Bergseen eingetauscht. Nicht so mein Gefährte Corentin, der hat sich tapfer und erfolgreich weiter durchgeschlagen, dann aber mit der Bahn, und bereist bis heute mit seinem Akkordeon weiter die Weltgeschichte.

Uber Stock und Uber Steine

Zurück zur Allgäuer Mobilitätswüste. Die seit anno dazumal bestehenden Mobilitätsangebote wurden bis dato leider wenig optimiert. Der regionale ÖPNV lockt heutzutage zwar Urlauber mit dem Slogan „Allgäumobil im Schlosspark“ zu vielfältigen Sehenswürdigkeiten im Raum, mit der Füssencard sogar kostenfrei, aber man möge doch bitte vor 19 Uhr reisen! Und was macht die Dorfjugend? Ach, stellt Euch doch nicht so an, fahrt doch mit dem Anruf Sammeltaxi! Fährt doch alle drei Stunden, mit ein bisschen Glück sogar noch einmal um 23:00 Uhr. Ja, aeh – verstehe. Aber mal ehrlich, es muss doch kreativere Lösungen geben, mit den Schwierigkeiten nachhaltiger Mobilität im ländlichen Raum umzugehen. Schon eine kurze Recherche im Netz bestätigt mir meine Vermutungen.

Da wäre zum Beispiel der EcoBus, ein System an welchem Wissenschaftler am Göttinger Max-Planck-Institut flexible Mobilität fürs Land erforschten. Via App oder im Netz wird ein Abholungsort zu einem festen Zeitpunkt gebucht. In der Bestätigung erscheint ein Zeitfenster von 20 Minuten, in dem der Bus voraussichtlich vorfährt. Der EcoBus empfängt seine Buchungen im Unterschied zu den Anruf-Sammeltaxen ad hoc und plant die Fahrgäste auch sofort in die Fahrt mit ein. Das Konzept heißt demand responsive transport und bedeutet, dass der Bus nicht an Haltestellen gebunden ist, sondern auf Wunsch bis zur eigenen Haustür, zum Wanderparkplatz oder zum nächsten Badesee fährt. Eine Mischung aus Taxi und Fahrgemeinschaft. Fahrtzeiten: zwischen 6 und 22 Uhr, am Wochenende sogar bis 2 Uhr nachts – schon mal nicht schlecht, finde ich.

Ebenso bedient sich das Taxito der modernen Kommunikationstechnologien, indem es Fahrtwünsche und Mitfahrgelegenheiten an ohnehin fahrende Autos vermittelt. Uber fürs Land sozusagen. An ausgewählten Bushaltestellen befinden sich per App oder SMS aktivierbare Anzeigetafeln, die über Solarzellen mit Energie versorgt werden. Die Tafeln – das Pendant zu den klassischen Pappschildern – machen vorbeifahrende Automobilisten auf individuelle Transportwünsche aufmerksam. Wenn nun ein Autofahrer beim TaxitoPoint vorbeifährt, sieht dieser die Destination und den Fahrgast und kann ihn mitnehmen. Der Fahrgast schickt vor dem Einsteigen die Autonummer per SMS an eine bestimmte Nummer oder gibt diese über die App ein. Beide Beteiligten sind nun aufgenommen und die gemeinsame Fahrt kann beginnen. Durchschnittliche Wartezeit: rund drei bis vier Minuten.

Gut, und gibt’s auch Lösungen ohne Smartphone?

Die Herausforderungen auf dem Land sind besonders groß: Funklöcher, weite Fahrtstrecken und viele ältere Menschen mit wenig Affinität zu Apps und Smartphone. Wie lang darf die Wartezeit maximal sein? Wie viel länger darf ein Umweg für einen weiteren Fahrgast dauern, bevor die Fahrtstrecke als „zu lang“ empfunden wird? Sind 45 statt 25 Minuten zu viel? Die modernen Lösungen befinden sich vielerorts noch in der Testphase und werden kontinuierlich verbessert.

Manche Kommunen setzen neuerdings auch wieder auf klassische Methoden ohne viel Schnickschnack. Mitfahrbänke beispielsweise wie in Flensburg oder Lügde bieten der Dorfgemeinschaft die Möglichkeiten ihren Mitbürgern mitzuteilen, wohin sie gerade gerne mit hingenommen würden. Auch hier ist die Resonanz positiv. Solidarität mit der Dorfgemeinschaft scheint wieder in Mode zu kommen.

Und wer noch mehr innovative Beispiele aus der Praxis sucht: der BUND Baden-Württemberg hat unter dem Titel „Nachhaltig Mobil im ländlichen Raum“ weitere nachhaltige Alternativen aufgelistet.

An der Stelle, stelle ich mir natürlich die Frage: hätte ich die neuen Mobilitätsangebote genutzt, hätte es sich damals schon gegeben? Getestet hätte ich sie mit Sicherheit. Denn selbst wenn sich Mitfahrbänke vielleicht nur mäßig als Fortbewegungsmittel eigneten, zumindest hätten sie Gelegenheit zum Abhängen und zum Löcher-in-die-Luft-starren geboten!

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6 Antworten zu “Per Anhalter quer durch Frankreich”

  1. Oh ja, Alternativen gibt es viele. Und das Schöne dabei ist, dass man sogar in Kontakt kommt, wenn man möchte. Lieben Gruß 🙂

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  2. Hallo Sarah,

    vielen lieben Dank für Deine Anmerkungen. Oh ja, die Mitfahrzentrale hat mir auch einige spannende Reisen von Deutschland nach Frankreich beschert. Einmal mussten wir drei Mitfahrerinnen den Wagen des Fahrers, dem das Benzin ausging, ein ganzes Stück schieben, damit der den letzten Hügel zur nächsten Tanke geschafft hat…. Übrigens, meine Nichte, inzwischen im selben Alter wie wir damals, nimmt auch immer noch regelmäßig Leute auf ihre Fahrten mit. Die online Portale scheinen also nach wie vor genutzt zu werden.

    Lieben Gruß, Jennifer

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  3. Dass es so viele Mitfahrmöglichkeiten gibt….
    Also ist ein älteres Semester auch nicht aufgeschmissen, wenn stundenlang hinterm Lenkrad klemmen bei großen Entfernungen mal nicht mehr so der Hit ist. 🙂

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  4. Super interessanter Beitrag! Ich bin auch eher ländlich aufgewachsen und damals war klar, nachts musste das eigene Auto (bzw. natürlich das der Eltern) her, sonst kam frau nirgendwo mehr hin. Selber fahren war dann auch die sicherere Option als bei anderen – möglicherweise angetrunkenen – Gleichaltrigen mitzufahren.
    Erwähnen möchte ich Einrichtungen wie online Mitfahrzentralen. Diese Art, des „geplant“ als Anhalterin unterwegs zu sein (Anruf/ Kontaktaufnahme mit den Fahrer/innen über das Portal und dann Verabredung an einem gemeinsam bestimmten Treffpunkt) habe ich in der Studienzeit vor allem für längere Strecken viel genutzt. Da war mir die Bahn nämlich oft viel zu teuer. Meine Erfahrungen damit waren gut, das Portal und die dort hinterlegten Daten (z.B. Autokennzeichen/ Telefonnummer) boten doch eine gewisse Absicherung und ich hatte wirklich einige sehr nette Reisen als Mitfahrerin.
    Heute würde ich das wohl eher nicht mehr machen, weiß auch gar nicht, ob es diese Möglichkeit noch gibt, aber als Studentin eine tolle, kommunikative und günstige Art des Reisens!
    Lieben Gruß, Sarah

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